Perfekt...
Lange hat sie sich nicht mehr so gefühlt. Frei. Die Sonnenstrahlen kitzeln sie auf der Haut. Eine leichte Sommerbrise weht ihr eine Haarsträhne ins Gesicht. Sie streicht sie sich hinters Oh. Sie schließt die Augen und atmet tief ein. Ihr langer Rock flattert. Gischt spritzt ihr ins Gesicht. Wie lang ist es her, dass sie so glücklich war? Sie verschwendet keinen Gedanken daran, allein das hier und jetzt zählt. Allein, dass sie sich jetzt so fühlte war wichtig. Was war anders? War es der Sommer? Die Tatsache, dass Ferien waren? Die Sonne? Die Freiheit und Ungebundenheit? Es war wahrscheinlich alles zusammen. Wellen schlagen gegen die Felsen. Sandkörner zwischen ihren Zehen. Schaumkronen tänzeln auf den Wellen auf und ab. Ein Schwarm Möwen über ihr lässt ein musikalisches Konzert erklingen. Sie sieht an der Felswand hinab. Wie weit es wohl hinunter geht? Fünf Meter? Vielleicht sechs. Der Wind zog auf und eine kräftige Böe zerzaust ihr Haar. Begierig sog sie den Duft nach Salz und Meer und Strand ein. Sie betet, dass dieser Moment ewig sein würde, für immer anhalten würde. Sie will nicht wieder in den Schatten zurückfallen, nicht jetzt, wo sie weiß, wie es ist, wenn es perfekt ist. Aber sie weiß, ihre Zeit ist begrenzt. Alleine daran zu denken schmerzt sie so sehr, dass ihr fast die Tränen kommen. Schnell schüttelt sie den Gedanken fort. Sie darf ihre kostbare Zeit nicht mit dunklen, traurigen Gedanken verschwenden. Sie öffnet die Augen und blickt in die untergehende Sonne. Wie kann etwas so wunderschönes so vergänglich sein? So vieles auf der Welt ist wunderschön und viel zu vergänglich. Ein Sonnenuntergang, eine prachtvolle Blume, Zeit, ein Kuss….
Sie führt ihre Fingerspitzen an ihre Lippen. Noch immer spürt sie den Hauch den er hinterlassen hatte, als hätte er nie aufgehört. Noch immer fühlt sie seine Wärme auf ihren Lippen. Noch immer den Druck. Langsam fährt sie mit ihrer Zungenspitze über ihre Oberlippe. Sogar schmecken scheint sie ihn noch zu können. Sie lächelt. Lächelt der untergehenden Sonne zu, von der nicht mehr allzu viel übrig ist. Sie seufzt. Sie entdeckt eine Muschel bei ihren Füßen. Eine kleine gezwirbelte Muschel. Sie bückt sich, hebt sie auf und betrachtet sie, fährt mit dem Finger über die perfekten Rundungen über die scharfkantige Spitze. Perfekt. Ja, diese Muschel scheint perfekt. Perfekt geformt von der Natur. Wie es sich gehört. Aber ist perfekt eine Eigenschaft? Sie betrachtet die Muschel noch eine Weile, drückt ihr dann einen Kuss auf und wirft sie weit ins offene Meer.
Perfektion ist keine Eigenschaft die man einem Gegenstand oder einer Person zuordnet. Denn perfekt ist niemand. Perfekt ist ein Moment, eine Sekunde, ein Augenblick. Perfekt ist vergänglich.
Langsam setzt sie sich auf den felsigen Boden. Sie lässt ihre Füße über den Rand der Klippe baumeln. Perfekt ist dieser Tag. Perfekt ist jeder Tag, der kein Schattentag ist. Perfekt ist die Zeit mit ihm. Sie merkt wie sich ein leichtes Lächeln in ihrem Gesicht breit macht. Die Sonne ist untergegangen. Nur noch ein paar Blassblaue Streifen hellen Tageslichts sind am Horizont auszumachen. Blassblau das in Gold und Rosa übergeht. Und dann in schwarz. In Schwarz, gesprenkelt mit unzähligen Sternen, unzähligen kleinen Lichtern. Lichtern, die ebenfalls vergänglich sind, denn sie brennen Schon lange nicht mehr. Irgendwann wird auch ihre Schönheit vergehen. Aber an den Tag, an dem das passiert, denkt sie jetzt noch nicht. Sie denkt nicht mal an morgen. Sie denkt nur an jetzt.
Sie hört Schritte näher kommen. Sand der unter Füßen knirscht. Eine Hand die behutsam auf ihrer Schulter ruht. Seine Hand. Sie fühlt sie und weiß, dass sie zumindest heute, den Kampf nicht mehr alleine austragen muss. Er ist alles was Perfektion und Vergänglichkeit vereinigt. Er ist ihr Fels an dem sich die Wellen zerschlagen. Er ist ihr Stern in rabenschwarzer Nacht.
Er ist ihre Sonne an Schattentagen.