Du bist gut, Lille
Mir scheint es, als hättest du eine recht eigene Auffassung von Kurzgeschichten.
Erstens ist es kompletter Schwachsinn, einem Prosawerk (sei es ein Roman, eine Kurzgeschichte, eine Anekdote,...) eine bestimmte Anzahl an Seiten vorzuschreiben! Das ist nämlich völlig irrelevant. Man kann nicht sagen: "So, dass sind nur vier Zeilen, das ist keine Kurzgeschichte."
Selbiges gilt für Romane, verstehst du, du kannst nicht vorschreiben, wie viel Seiten ein Genre ausmacht. Das hängt von anderen Faktoren als der Länge ab.
Fakt ist es, dass eine Kurzgeschichte möglichst in einem Leseakt zu schaffen sein sollte.
Was aber auch nicht zwingend ist, da es wirklich schwer ist, für Kurzgeschichten einheitliche Merkmale zu finden.
Und ob häufig ein offenes Ende angebracht ist. Es ist sogar wünschenswert, da die Aussage, die der Text verfolgt, eben nicht auf den ersten Blick ersichtlich sein soll, sondern durch Nachdenken und Analysieren vom Leser selbst erfasst werden sollte.
Was du meinst (mit den Kindergeschichten), sind Märchen und Fabeln, die aber auch oft erst durch Nachdenken zu einer Moral oder Lehre gelangen.
In einer Kurzgeschichte stehen eigentlich die wenigsten Information wirklich drin, sondern die müssen durch "zwischen den Zeilen lesen" und Verknüpfen von Handlungen erschlossen werden. Das ist keine Ansichtssache, sondern einfach eine Tatsache die sich auf diese literarische Form bezieht.
Eine Kurzgeschichte mit einer Fortsetzung? So etwas sinnfreies habe ich auch noch nie gehört.
Okay, versuche ich es anders. Hier ein Beispiel "Auf dem Kriegsfad" von Hermann-Josel Schüren:
"Er bekommt, was er will. Das ist ihm zu viel.
In seinem Zimmer haben sie nichts zu suchen. Das ist sein Reich. Er allein entscheidet, wann aufgeräumt wird. Er streicht es in den Farben, die ihm gefallen. Er kleidet sich selbst ein. Sie finanzieren seine Wünsche. Sie haben nichts dagegen einzuwenden, dass Ilona die Nacht über bleibt. Sie stören nicht. Sie klopfen nicht. Sie nehmen Rücksicht. Schließlich sind sie ja auch einmal jung gewesen. Und mit Ilona. Das ist etwas anderes. Sie gefällt ihnen. Sie macht einen vernünftigen Eindruck und kommt aus gutem Hause. Für ihr Alter ist sie auch schon ziemlich erwachsen.
Ihren Sohn haben sie in den unterschiedlichsten Erscheinungsformen gesehen. Beinahe täglich wechselt er Aussehen, Gehabe, seinen Umgangston. Sie haben einiges miteinander mitmachen müssen.
Er scheint sich allmählich zu fangen. Und jetzt die Geschichte mit Ilona. Das wird bestimmt etwas Festes. Als sie zum Frühstück erscheinen, steht ein Irokese vor ihnen, schmiert sich im Stehen ein Marmeladenbrot und begibt sich auf den Kriegsfad."
So, wie du sehen kannst, ist es weniger als eine Seite, hat ein offenes Ende und um den Inhalt wirklich verstehen zu können, muss man darüber nachdenken. Man versucht es zu interpretieren, um so die Aussage des Autors zu begreifen. Das ist eine Kurzgeschichte.
Aber es ist unmöglich, einheitlich Merkmale für dieses Genre zu finden.
Aber, Lille, ich hoffe, ich konnte dir ein wenig die Augen öffnen, denn deine Definition ist fast vollständig falsch.
Vielleicht hast du es im Deutschunterricht noch nicht behandelt und wenn du es tun wirst, wirst du verstehen, was ich meine